Foto © Paula Winkler

Maren Wurster studierte Philosophie und Germanistik in Köln und Literarisches Schreiben am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig. Ihr Romandebüt, „Das Fell“, erschien 2017 bei Hanser Berlin. In ihren Werken beschäftigt sie sich kritisch mit Fürsorge und dem Sterben in unserer Gesellschaft. Ihr aktueller Roman „Eine beiläufige Entscheidung“ erzählt von einer Mutter, die ihr Kind verlässt, und einem Jungen, der mutterlos aufwächst. In dem Memoir „Papa stirbt, Mama auch“ und dem erzählenden Sachbuch „Totenwache“ verarbeitete Wurster den Abschied von den eigenen Eltern. Mit dem Kollektiv „Writing with Care/Rage“ setzte sie sich in kollaborativen Texten mit Care- und Kreativ-Arbeit auseinander. Zuletzt lud sie andere Schriftsteller:innen zu einer „Archäologie des Verlusts“ ein. Die Texte und
Performances wurden 2022 in der Volksbühne Berlin uraufgeführt. 2023 ist Maren Wurster Herausgeberin der Literaturzeitschrift Akzente. Maren Wurster erhielt u.a. das Werkstipendium des Deutschen Literaturfonds und das Jahresstipendium des Landes Niedersachsen. Sie lebt mit ihrem Sohn in Berlin und im Wendland.

Maren Wurster liest aus „Eine beiläufige Entscheidung“, 2022 erschienen bei Hanser.

Leseprobe

Meine ersten Erinnerungen haben alle mit Una zu tun.

Ich liege auf dem Rücken und sehe, wie sich die Blätter einer Pflanze bewegen. Rund sind sie und schwingen ganz leicht, erzittern kurz. Una kommt ins Zimmer, ich wende den Kopf und blicke sie von unten an. Groß wirkt sie. Sie hat ein breites, rosiges Gesicht.

Una kniet vor mir und möchte mein aufgeschürftes Knie mit einem braun getränkten Tuch abtupfen. Ich zucke zurück, und Una hält inne. Meine Finger krallen sich in ihren Arm, und ich bewege das Knie langsam auf das Tuch zu.

Wir malen mit Kreide auf den Betonboden unseres neuen Hauses, bevor das Parkett darüber kommt. Die Kreide knirscht und bröselt, wir ziehen rote und blaue Kreise, malen ein Haus und ein Auto. Una zeichnet eine Qualle, aber ich kenne das Tier nicht. Sie erklärt mir, dass Quallen durchs Wasser schweben und fast durchsichtig sind, und ich frage, ob man sie nicht sehen kann. Una sagt, sie hätten eine weiche Haut und rosa Blumen im Inneren. Sie malt eine hinein. Wir stellen uns vor, wie in vielen Jahren jemand, wenn er das Holz wieder abnimmt, unsere Zeichnungen entdeckt. Una schreibt unsere Namen dazu, Konrad und Una, und das Datum, 2. April 2008.

Wie verwirrt ich bin, als ein junger Mann zu uns auf den Spielplatz kommt und Una küsst, während ich oben im Häuschen der Rutsche sitze. Heute denke ich, dass Una den Kuss nur zugelassen hat, weil sie dachte, ich sähe ihn nicht, ich stiege gerade noch die Leiter zum Häuschen hoch. Ich möchte nicht mehr rutschen. Una ruft mir zu und winkt, während der Mann nervös hin und her blickt. Schließlich klettert sie zu mir hoch, und wir rutschen gemeinsam, ich auf ihrem Schoß, und sehr langsam, da Unas Schenkel am Rand der Rutsche bremsen.

Ich liege oben in meinem Zimmer und höre Robert mit Una reden, manchmal in einer Zaubersprache. Es dauert immer einen Augenblick, in dem es still ist, bevor Una Robert antwortet. Sie spricht leise und lächelnd. Das höre ich, dass sie lächelt.

Bibliographie (Auswahl)

Bücher

Totenwache. Eine Erfahrung. Erzählendes Sachbuch. Graz: Leykam 2022.

Eine beiläufige Entscheidung. Roman. Berlin: Hanser Berlin 2022.

Papa stirbt, Mama auch. Memoir. Berlin: Hanser Berlin 2021.

Das Fell. Roman. Berlin: Hanser Berlin 2017.

Anthologien / Zeitschriften (Auswahl)

Herausgegeben von Wurster, Maren: Verluste. Akzente. Zeitschrift für Literatur.
München 2023.

„Lassen.“ In: Lost places. Verlorene Orte. Schwäbischer Literaturpreis 2022.
Augsburg 2022.

„Fragen.“ In: Literaturbote 141 – Writing with Care. Frankfurt am Main 2022.

„Straucheln und Vergessen.“ In: Lendle, Jo (Hrsg.): Körper. Akzente. Zeitschrift für Literatur. München 2021.