Foto © Gökhan Üzülmez

Dr. Turgut Altuğ wurde 1965 in Tarsus in der Südtürkei in einer Landarbeiterfamilie geboren. Nach seinem Studium wanderte er nach Deutschland ein, absolvierte ein Aufbaustudium und promovierte 2002.

2009 gründete er in Berlin das Türkisch-Deutsche Umweltzentrum, die erste deutsche Umweltorganisation für Migranten/innen. Im selben Jahr wurde er für den taz-Panter-Preis nominiert. 2010 erhielt er für sein Engagement die Integrationsmedaille der Bundesregierung. Seit 2011 ist er für die Partei Bündnis 90 /Die Grünen aus Kreuzberg direkt gewählter Abgeordneter im Berliner Abgeordnetenhaus.

„Das verlorene andalusische Lied“ ist der erste Roman des in Berlin lebenden Autors.

Dr. Turgut Altuğ liest aus „Das verlorene andalusische Lied“, erschienen 2021 im tredition Verlag.

Leseprobe

… Drei Monate waren viel zu kurz, um in dieser uns aufgezwungenen knappen Zeit alles hinter uns zu lassen. Unsere Vergangenheit, unsere Zukunft, Menschen, die wir liebten und schätzten, die Weinberge und Gärten, Synagogen und Friedhöfe, Häuser und Straßen, Bäche und Täler, Geschmäcker und Melodien.
Wie sollte sich ein Mensch innerhalb weniger Monate von all dem lösen, verabschieden können? Sie beraubten uns nicht nur unserer Vergangenheit, sondern auch unserer Geschichte. Geschichte bedeutet nicht nur Vergangenes, sondern sie weist zugleich in die Zukunft. Wir wurden nicht nur heimatlos … Wir wurden entwurzelt! In alle Windrichtungen verstreut, liefen wir Gefahr, langsam, aber sicher im Nichts zu verschwinden.
Wie sollten wir, in der knappen Zeit, die uns zugemessen wurde, es schaffen, unsere Vergangenheit, Lieder und Gedichte, Überzeugungen und Zweifel, Ängste und Hoffnungen in unser Gedächtnis zu brennen, damit sie nicht verlorengingen? Doch wir mussten. Denn Vergessen bedeutet Vernichtung. Es bedeutet nicht den Tod, sondern dass man nie geboren wurde. Unser Gedächtnis wurde nun zu unserer größten Stärke. Wo immer wir auch hingehen mögen, die erste Saat, die wir in einen Boden pflanzen, wird aus unserem Gedächtnis kommen.

weiterlesen

Wir waren wie ein vertriebener, verfolgter und verletzter Vogel, der um sein Leben bangt. Es war, als fielen wir in einen riesigen, alles verschluckenden Ozean. Wir waren gezwungen, unser Wesen, uns selbst zu beschützen und zu bewahren. Unsere Essenz, unsere Seele bestand nur noch aus unseren Erinnerungen.
So machten wir uns auf den Weg … und trennten uns von jenem Boden, auf dem unsere Ahnen jahrhundertelang in Frieden mit ihren Nachbarn gelebt hatten. Unser Kampf ums Überleben hatte nun den Vorrang. Wir müssen eine neue Heimat finden und versuchen, uns dort ein neues Leben aufzubauen. Diesen Ort würden wir dann zwar unser Heim nennen, doch unsere Heimat würde uns, unseren Kindern und Kindeskindern immer im Gedächtnis bleiben. Den Wogen des düsteren Mittelmeers trotzend, würden wir alles, was wir bewahren konnten, an unsere Kinder und Enkel weitergeben. Das wertvollste Erbe, das wir ihnen je vermachen werden, wird die Geschichte unseres jahrtausendelangen Leids sein.

Bibliographie

„Das verlorene andalusische Lied“ (Roman)
tredition Verlag
Erscheinungsdatum: September 2021
344 Seiten, Paperback
Format: Taschenbuch
16,- Euro
ISBN 978-3-347-26495-3
Sprache: Deutsch

ENDÜLÜS… Kayıp Şarkı (Roman)
epubli Verlag
Erscheinungsdatum: September 2021
308 Seiten, Paperback
Format: Taschenbuch
12,- Euro
ISBN: 9783754165508
Sprache: Türkisch